Radar und Hypothesentests

Situation
In einem Bereich einer Stadtstrasse mit normalerweise erlaubten 50 km/h wurde mittels einer mobilen Tafel temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h signalisiert. In diesem Bereich wurde eine Radarkontrolle durchgeführt. Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass von 200 gemessenen Fahrzeugen 42 Fahrzeuge zu schnell fuhren – das entspricht einer Überschreitungsquote von 21 %.

Zu klärende Fragen

  • Ist eine Überschreitungsquote von 21 % als auffällig hoch zu bewerten?
  • Gibt es statistische Evidenz, dass das Verkehrsverhalten nicht dem Normalfall entspricht?
  • Wie lässt sich eine solche Einschätzung mathematisch objektivieren?

Analyse und mathematische Modellierung
Aufgrund der Stichprobengrösse (n=200) und genügend Vergleichswerten aus anderen Geschwindigkeitskontrollen drängt sich für die vorliegende Situation ein Hypothesentest auf. Dabei gilt es in einem ersten Schritt zu entscheiden, welche Art von Hypothesentests in Frage kommen und welche Parameterwerte gewählt werden sollen. Der wichtigste Parameter ist die durchschnittliche Überschreitungsquote (Erwartungswert). Diese muss aus möglichst vielen, vergleichbaren Radarmessungen (zu beachten sind z.B. Ortscharakter, Tageszeit, etc.) bestimmt werden. Sie nimmt im Folgenden beispielhaft den Wert 10 % an. Mit diesem Wert wird für die folgenden Hypothesentests die Nullhypothese formuliert. Es kommen mindestens die folgenden zwei Hypothesentests in Frage, welche für die vorliegende Situation sinnvoll sind.


Z-Test basierend auf der Normalverteilung

Fragestellung: Weicht die gemessene Quote signifikant vom typischen Erwartungswert ab?

Nullhypothese H_0: \mu \leq 0.10 \\

Alternativhypothese H_1: \mu > 0.10

Beobachtete Quote: \overline{X} = \frac{42}{200} = 0.21

Teststatistik: Z = \frac{\overline{X} - \mu_0}{\sqrt{\frac{\mu_0 \cdot (1-\mu_0)}{n}}} = \frac{0.21 - 0.10}{\sqrt{\frac{0.10 \cdot (1-0.10)}{200}}} \approx 5.19

Daraus folgt ein p-Wert von p \approx 1.1 \cdot 10^{-7}. Das bedeutet: hoch signifikant. Die Nullhypothese muss verworfen werden.


Hypothesentest basierend auf der Binomialverteilung

Fragestellung: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter 200 kontrollierten Fahrzeugen 42 oder mehr zu schnell sind? Annahme: Die Wahrscheinlichkeit, zu schnell zu fahren und geblitzt zu werden beträgt 0.10.

P(X \geq 42) = \sum\limits_{k=42}^{200} \binom{200}{k}0.1^k(1-0.1)^{200-k} \approx 2.3 \cdot 10^{-7}

Dieser Wert hat dieselbe Grössenordnung wie derjenige im vorangehenden Test. Die Wahrscheinlichkeit, dass 42 oder mehr Fahrzeuge zu schnell fahren ist also extrem klein.


Diskussion der Ergebnisse
Es ist wichtig, sich zu vergewissern was signifikant bedeutet: Ein statistisches Ergebnis ist signifikant, wenn die beobachtete Abweichung nicht mehr plausibel durch Zufall erklärbar ist – vorausgesetzt, die Nullhypothese ist korrekt.

Dabei wird ein sogenanntes Signifikanzniveau \alpha festgelegt, z. B. 0.05. Dies ist die Irrtumswahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, dass man fälschlicherweise die Nullhypothese verwirft (Fehler 1. Art).

Ein p-Wert kleiner als \alpha bedeutet: Die Abweichung ist statistisch signifikant – es spricht viel dafür, dass die Nullhypothese nicht zutrifft.

Im vorliegenden Fall ist p \approx 10^{-7} \ll 0.05, was ein hochsignifikantes Ergebnis bedeutet.

Fazit: Die beobachtete Überschreitungsquote von 21 % ist statistisch signifikant höher als der übliche Referenzwert von 10 %. Die zwei unabhängigen statistischen Tests bestätigen diese Aussage. Die hohe Quote spricht dafür, dass die temporäre Beschilderung nicht wie erforderlich wahrgenommen wurde.